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Die Rolle der Lehrerin im Wandel der Zeit  PHSG

Die Rolle der Lehrerin im Wandel der Zeit - Sinnbild der Emanzipation?

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt eindrücklich, wie Frauen die Schule für sich eroberten. Sie haben sie zu ihrer Domäne gemacht. Doch dieser Erfolg entbehrt nicht einer gewissen Bitterkeit.

Strenge Regeln in Zürich

Die zürcherischen Regeln für Lehrerinnen aus dem Jahr 1915 werden gerne als Amüsement unter Lehrpersonen herumgereicht. Ohne historische Einordnung entlocken einem diese Vorgaben ein belustigtes Schmunzeln. Sie zeichnen ein aus heutiger Sicht überholtes Frauenbild mit Attributen wie anständig, tugendhaft, sittsam, ehrbar, jungfräulich und keusch. 

Die Regeln verdeutlichen anhand des Berufsbildes der Lehrerin, wie sich die Gesellschaft in den letzten hundert Jahren in Sachen Gleichstellung der Geschlechter verändert hat.

Kein Beruf für Frauen

Für die Spurensuche, wie sich die Situation der Lehrerinnen anfangs des 20. Jahrhunderts präsentiert hat, ist die Chronik von Giuseppe Clivio zur Ausbildung auf Mariaberg aufschlussreich. Nachzulesen ist, dass Frauen nur allmählich Zugang zum Lehrberuf erhielten. Bis 1864 war die Anstellung von Lehrerinnen nicht erlaubt. Erst 1888 traten die ersten Mädchen als reguläre Seminaristinnen ins Lehrerseminar Mariaberg ein, bis 1900 waren es insgesamt rund ein Dutzend. Die ausgebildeten Lehrerinnen hatten jedoch grosse Mühe, nach ihrem Abschluss eine Anstellung zu finden. Von den Schulen wurden männliche Kollegen bevorzugt. Das Blatt wendete sich erst ab den 1960er-Jahren. Erstmals übertraf die Anzahl Seminaristinnen jene der Seminaristen. Für verheiratete Lehrerinnen sah die Gesellschaft aber keine Berufstätigkeit vor. Nach der Heirat mussten sie aus dem Schuldienst ausscheiden. Die angeführten Regeln verdeutlichen also nicht nur das damals vorherrschende Frauenbild, sondern dienten auch der Diskriminierung von Frauen in einem damaligen Männerberuf.

Lehrerinnen auf dem Vormarsch

Im Zuge der Emanzipation gelangten die Frauen zu einem eindrücklichen Bildungserfolg. Heute stellen sie die Mehrheit der Absolvierenden an Hochschulen und Gymnasien dar. Auch an der PHSG ist der Frauenanteil hoch: im Studiengang Kindergarten und Primarschule sind es 85 Prozent, im Studiengang Sekundarstufe I 65 Prozent. Dieser Erfolg wird nun zum Problem stilisiert unter dem wenig schmeichelhaften Begriff der «Feminisierung des Lehrberufs». Die abnehmende Zahl an Lehrern wird dabei als Ursache für den sinkenden Bildungserfolg der Jungen verantwortlich gemacht. Auch sei es der hohe Frauenanteil, der den Imageverlust des Berufs beschleunige. 

Die Debatte um die Feminisierung des Lehrberufs macht eines deutlich: Die Frau gilt in unserer Gesellschaft immer noch weniger als der Mann. Dass sich gerade der Lehrberuf zum Frauenberuf entwickelte, liegt daran, dass der Bereich der Bildung und Erziehung als natürlicherweise den Frauen obliegende Aufgabe angesehen wird. Die Aufteilung der Arbeits- und Lebenswelten in weiblich und männlich zeugt bis heute von der Hierarchie zwischen den Geschlechtern. Hier stellt sich die Frage, ob das mangelnde Interesse der Hälfte der Gesellschaft (der Männer) an Bildung und Erziehung einer Wissensgesellschaft noch gerecht wird. 

Nur vor dem Bild einer hierarchischen Arbeitswelt ist auch das Argument haltbar, dass der Lehrberuf für Männer weniger attraktiv sei, da er nicht prestigereich sei und keine Karrieremöglichkeiten sowie tiefe Löhne biete. Bisher blieb die Frage unbeantwortet, warum diese Aspekte nur für Männer relevant sein sollen. 

Punkto Gleichstellung der Frau wurde in den letzten hundert Jahren viel erreicht, wie der Vergleich mit den damaligen Verhaltensregeln zeigt. Und dennoch gibt es in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter, auch im Lehrberuf, noch viel zu leisten. Erst wenn sich ein Kindergärtner nicht mehr dem latenten Vorwurf der Pädophilie ausgesetzt sieht und Lehrerinnen ganz selbstverständlich Schulleiterinnen sind, darf das in der Bundesverfassung verankerte Gleichstellungsgebot als erfüllt betrachtet werden.

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