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Mann mit Brille der vor einem PacMan-Automaten steht

Der Meister der klugen Computerspiele

Lernen ist für viele Kinder langweilig. Ganz anders sieht das beim Gamen aus. Psychologieprofessor Michael Kickmeier bringt deswegen ernsthaftes Wissen und ausgeklügelte Spiele zusammen. Warum und wie ihm das gelingt.

Dieses Porträt ist im Rahmen der Serie #FacesOfScience des Schweizerischen Nationalfonds entstanden.

Michael Kickmeier gehört zur Generation, die mit dem C64 aufgewachsen ist. So hiess der in den 80er-Jahren populäre Heimcomputer von Commodore mit gerade mal 64 Kilobyte Arbeitsspeicher. Er taugte vor allem zum Gamen und für einfaches Programmieren. Kickmeier war zwölf Jahre alt, als er begann, mit dem C64 zu experimentieren. Er schaute Fernsehsendungen, in denen das Programmieren erklärt wurde, und begann bald, erste kleine Programme zu schreiben – zum Beispiel für einen weissen Punkt, der sich auf einem blauen Bildschirm hin und her bewegt. «Ich war damals unglaublich fasziniert von den ungeahnten neuen Möglichkeiten, welche dieser Computer eröffnete», erinnert sich der Professor für Individuelle Förderung und Differenzierung an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen.

Gamen ist auch Psychologie

Eigentlich wäre es naheliegend gewesen, dass sich Kickmeier nach Abschluss der Schule für ein Informatikstudium einschreibt. Doch er entschied sich für Psychologie. «Mich interessierte neben dem Programmieren vor allem der Mensch – und weshalb Computerspiele Spannung erzeugen und Spielende unterhalten», erklärt der Forscher. «Es geht dabei ja um viel mehr als nur um die technische Umsetzung mit Code. Zum Beispiel um das Lösen von Rätseln, um das Erzählen von Geschichten, um Konzepte und Designs.» An der Karl-Franzens-Universität in Graz, wo Kickmeier studierte, gab es mit Dietrich Albert bereits einen Psychologieprofessor, der sich mit Computer und Lernen beschäftigte. Der mittlerweile emeritierte Wissenschaftler gehörte zu den Pionieren in den Bereichen E-Learning und Mensch-Computer-Interaktionen. Kickmeier arbeitete in dessen Gruppe als studentische Hilfskraft und begeisterte sich zunehmend für Forschung an der Schnittstelle von Psychologie und Informatik.

Während des Doktorats an derselben Universität spezialisierte sich Kickmeier auf digitale Lernspiele und deren Auswirkung auf die Motivation, sich Wissen anzueignen. Seine Forschung drehte sich um die Frage, wie es gelingt, eine vordergründig «langweilige» Materie so mit einem spannenden Spiel zu verknüpfen, dass daraus ein nachhaltiger Lernerfolg resultiert. «Dafür müssen wir aber zuerst einmal wissen, wie jemand sich etwas aneignet und welche Pfade er oder sie dabei verfolgt», erklärt der Forscher. Für solche Analysen arbeitet er mit sogenannten stochastisch-probabilistischen Modellen. Über Wahrscheinlichkeiten kann während eines Spielverlaufs in Echtzeit berechnet werden, welcher nächste Schritt am besten zum Lernstand der gamenden Person passt. Kickmeier arbeitet dafür mit dem psychologischen Konzept der Wissensräume. Dabei wird ein Themengebiet zuerst nach didaktischen Gesichtspunkten in Lerneinheiten unterteilt. Anschliessend wird beschrieben, wie diese Einheiten aufeinander aufbauen, sodass der Wissensstand von Lernenden durch wenige Testfragen ermittelt werden kann.

Die Erde mit dem Alien kennenlernen

Noch während des Doktorats übernahm Kickmeier 2008 die Koordination des EU-Forschungsprojekts «80Days». Die Erfahrungen von damals prägen seine Forschung bis heute. Während des Projekts entwickelte er ein Lernspiel für Geografie, bei dem es darum geht, mit einem ausserirdischen, intergalaktischen Reiseschriftsteller die Erde zu erkunden und dabei ihre Eigenschaften, Orte und bekanntesten Sehenswürdigkeiten kennenzulernen. Das Spiel analysiert den Verlauf in Echtzeit und passt ihn ständig an den Wissensstand der Lernenden an. «Je nach Person und ihren Bedürfnissen, sich Dinge zu merken, verläuft die Geschichte komplett unterschiedlich», erzählt Kickmeier. Die Geschwindigkeit, der Sound und die eingeblendeten Informationen passen sich automatisch dem Spielverlauf an. Manche folgen dem Ausserirdischen als Reisebegleiter, um die Erde mit ihm in aller Ruhe zu erkunden. «Bei anderen Spielverläufen kann es aber auch sein, dass man dagegen ankämpfen muss, dass der Alien die Welt auskundschaftet, um sie später zu erobern. Oder der Alien wird plötzlich zum Verbündeten der Spielenden, um die Welteroberung durch sein eigenes Volk zu verhindern.»

Das Computergame wurde mit über 250 Schülerinnen und Schülern in Deutschland, Frankreich, Österreich und Dänemark getestet. Das Ergebnis: Sie waren motivierter als bei klassischen Lernmaterialien der Geografie, sie blieben länger bei der Sache und eigneten sich mehr Wissen an. Kickmeier erklärt das wie folgt: «Damit ich im Spiel ein nächstes Level erreichen kann, brauche ich Wissen. Damit erhält es einen anderen Stellenwert. Erst mit dem Gamen wird es zu einem wichtigen Gut.» Das biete Chancen, um auch Lernende mit schwacher Lernmotivation oder aus bildungsfernen Bevölkerungsgruppen zu erreichen, sagt Kickmeier. Diejenigen, die sowieso gerne lernen, erhielten über Computergames eine zusätzliche Möglichkeit zum aktiven und problemlöseorientierten Lernen.

Dass Computerspiele in erster Linie zu Verblödung und Sucht führen könnten, wie manche befürchten, glaubt er hingegen nicht. «Dieselbe Diskussion hatten wir bereits bei der Einführung des Taschenrechners im Mathematikunterricht. Heute können Kinder dank technischer Hilfsmittel komplexere Aufgaben lösen als früher.»

Falsche Konzepte im Kopf auflösen

Aktuell entwickelt der Forscher im Rahmen eines vierjährigen SNF-Projekts ein Computerspiel, um sogenannte Fehlkonzepte im Physikunterricht zu erkennen und zu beheben. Zum Beispiel: Viele Schülerinnen und Schüler beantworten die Frage, was passiert, wenn man auf dem Mond einen Hammer und eine Feder gleichzeitig aus gleicher Höhe fallen lässt, falsch. Dies, weil sie ihre bereits erworbenen Kompetenzen zu Schwerkraft und zum Luftwiderstand auf der Erde als Referenz nutzen. «Es gibt fast nichts Schwierigeres, als Erlerntes bewusst wieder zu verlernen», sagt Kickmeier. Das Computergame, das im Rahmen des 2023 begonnenen Projekts entwickelt wird, soll mittels Analyse des Spielverlaufs Aussagen darüber treffen, ob Spielende aufgrund von Fehlkonzepten nicht mehr weiterkommen, oder weil grundlegende Kompetenzen für ein bestimmtes Wissen fehlen. «Dieser Unterschied ist für das Lernen wichtig», erklärt Kickmeier. «Deshalb entwickeln wir Modelle, die das abbilden können.» Sein Team arbeitet dafür eng mit einem Programmierer und einem Pädagogen zusammen, der selbst in einer Schule unterrichtet. «Das führt zu viel Reibung zwischen den Disziplinen, aber gleichzeitig zu den spannendsten Diskussionen.» Eine erste Version des Abenteuerspiels soll bis Ende Jahr programmiert sein. Ab 2025 soll es dann mit mehreren hundert Schülerinnen und Schülern in der Schweiz getestet werden.

Kickmeier ist bis heute ein leidenschaftlicher Gamer geblieben. Manchmal entspanne er sich in einer Arbeitspause an der Hochschule bei einer Runde Super Mario, erzählt er, bis heute eines seiner Lieblingsspiele auf dem Computer. Und zuhause fordert er gerne auch mal seine zwei Kinder zu einer Partie Fussball auf der Playstation heraus. «Natürlich sind die beiden auch meist die Ersten, die unsere selbst entwickelten Games zuhause testen müssen», sagt Kickmeier und lacht.