Text: Christina Wolf
Wie geht Bildung für Nachhaltige Entwicklung mittels kreativem und offenem Projektunterricht? Darüber tauschten sich Mitte Mai Lehrpersonen, Forschende und Bildungsschaffende aus aller Welt an der Educate the Educators Konferenz aus und diskutierten über STEM & Open Schooling for Sustainability Education. Die Konferenz fand im wunderschönen Naturalis Biodiversity Center in Leiden (NLD) statt.
Die Konferenzteilnehmenden kamen aus Österreich, Spanien, Israel, Norwegen, Deutschland, natürlich den Niederlanden, Türkei und vielen weiteren Ländern. Seitens PHSG waren Christina Wolf, Stephanie Eugster und Matthias Kirf vor Ort. Durch das Forschungs- und Entwicklungsprojekt «Enabling outdoor-based teaching» (EOT) kam es zur Teilnahme an der Konferenz. Am EOT-Projekt beteiligen sich acht PHs der Schweiz. Gemeinsam mit Luana Monti Jermini, Dozentin an der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI), präsentierte Christina Wolf den methodischen Ansatz der Outdoor Journeys für die Sekundarstufe I. Im Smartfeld weht dank Stephanie Eugster, Matthias Kirf und ihrem Team ein Kollaborations- und Innovationsgeist, der ansteckt. Beide stellten ihre Arbeit im St. Galler Bildungslab Smartfeld vor, die es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sich kreativ mit Technologie zu beschäftigen und dabei notwendige Kompetenzen für das 21. Jahrhundert zu erlernen.
Unser Beitrag zeigte, wie Draussenlernen MINT Bildung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Ausbildung von Lehrpersonen unterstützen kann. Wir präsentierten ein konkretes Beispiel eines methodischen Ansatzes, die Outdoor Journeys, die Luana bereits in einer 8.Klasse durchführte und heute als Dozentin an der SUPSI praktiziert. Gleichzeitig sind wir ein Beispiel dafür, wie man in Lehre und Forschung eng zusammenarbeiten kann und von dem Wissen und den Kompetenzen aus beiden Bereichen profitiert.
Outdoor Journeys sind eine Möglichkeit mit Schülerinnen und Schülern die Umgebung zu erkunden und dabei mit eigenen Fragen mehr über die Besonderheiten oder Probleme eines Ortes zu erfahren. Hier verbinden sich die Lernansätze der place-based education mit inquiry-based und problem-based learning. Luana beschrieb anschaulich die Arbeitsweise ihrer 8. Klasse mit den Outdoor Journeys, die Lernerfolge ihrer SchülerInnen und wie diese Erfolge ihre Lehrpraxis von Heute in den Bereichen MINT, Outdoor Education und Nachhaltigkeit prägten.
Beispiel Schwerverkehrskontrollzentrum Gotthard-Tunnel
Anlässlich des Baus eines Schwerverkehrskontrollzentrums für den Gotthard-Strassentunnel in Giornico im Kanton Tessin gestaltete Luana 2016 gemeinsam mit ihrer Klasse einen fächerübergreifenden, ortsbezogenen Geographieunterricht (8.Klasse) zu diesem Thema.
Zuerst setzte sich die Klasse mit Fragen zum Neubau des Gotthard-Tunnels auseinander. Warum, Wieso, Weshalb ein Neubau? Anlass dafür war ein grosses Feuer (ausgelöst durch die Kollision zweier Lastwagen) im Jahr 2001 mit 20 Opfern. Neben der Erneuerung sollten ausserdem sogenannte Checkpoints (später Schwerverkehrskontrollzentrum) gebaut werden, die die Lastwagen wogen und kontrollierten bevor sie den Tunnel passierten. Gleichzeitig waren die Anwohner:innen nicht begeistert über den Bau eines Checkpoints in ihrem Ort.
Ziel der Unterrichtsreihe war es, sich in einer Abstimmung auf Informationsgrundlagen für oder gegen den Bau eines Checkpoints in Giornico zu entscheiden. Dafür brauchte die Klasse mehr Informationen. Zuerst besuchten sie daher Giornico an einem Tagesausflug und sammelten Informationen und vor allem Fragen zum Ort (Outdoor Journey). Zurück in Locarno recherchierten sie Antworten auf ihre Fragen in Artikeln, Webseiten und Datenbanken nach möglichen Lösungen und Varianten zur Beantwortung der Frage: Soll in Giornico ein Checkpoint gebaut werden oder nicht?
Da sie nicht alle Antworten in ihren Recherchen fanden, entschieden sie sich, weitere Nachforschungen anzustellen und verschiedene Gruppen in Giornico zu ihren Meinungen und Argumenten in Punkto Checkpoint zu befragen. Sie teilten sich auf und interviewten an einem Tag den Bürgermeister, einen Projektleiter des Checkpoint-Projekts, einen Manager einer örtlichen Industriefirma, eine Schulklasse und eine Gruppe von Bürger:innen. Alle Interviews organisierten sie selbstständig, nur punktuell unterstützt von Luana.
Die Klasse arbeitete mit einem hohen Mass an Verantwortung und konnte auf ihrer Suche nach Antworten die soziokulturelle und geophysikalische Geschichte der lokalen Landschaft miteinbeziehen (Beames und Ross, 2010). Am Ende präsentierten alle Gruppen in der Klasse ihre Ergebnisse aus Recherchen und Interviews und stimmten wie bei einer echten Volksabstimmung ab. Aufgrund der gesammelten Informationen stimmte die Mehrheit für den Bau des Checkpoints in Giornico.
Weitere Beiträge an der Tagung
Die Tagung zeigte mit vielen Beispielen motivierter SchülerInnen und kreativer Projekte, was erreicht werden kann, wenn Pädagogen ihre Aufmerksamkeit auf lokale Phänomene richten. Wir besuchten mehrere Beiträge über MOST (Meaningful Open Schooling, environmental school-community-projects) Projekte aus verschiedenen Ländern. Diese werden durch das Horizon2020 Programm unterstützt. Die Projekte verfolgen ein Kernprinzip: Die Schule/Klasse wählt ein für das Gemeindewohl wichtiges Thema, z.B. Ökologie, Digitalität oder demographischer Wandel. Im MINT-Unterricht folgt die Konfrontation mit dem Thema, z.B. Energie und den Aufwand eigener Energie beim Fahren von Rollern, Kickboards etc. Man holt die Erfahrungen der Klasse ein und begibt sich auf eine Spurensuche über Energie in der Gemeinde. Am Ende wählen die SchülerInnen, was sie tun wollen, z.B. einen eignen Blaulichtfilter für Telefon und Laptops basteln (Projekt Norwegen). Während 2-3 Monaten arbeiten die SchülerInnen an diesem Thema, mit grossem Erfolg.
Lehrpersonen und Forschenden zeigten sich begeistert über ihre Erfahrungen mit einem Projektunterricht, der nachhaltigkeitsrelevante Themen fokussierte, die die SchülerInnen zum Teil selbst wählten, über einen längeren Zeitraum stattfinden konnte und Orte und Menschen einer Gemeinde miteinschloss. Damit bestätigen sie auch, dass SchülerInnen durch ortsbezogene Bildung (place-based education) «die Bereitschaft zu sozialem Handeln und, mit der richtigen Anleitung durch Erwachsene, die für eine wirksame demokratische Beteiligung erforderlichen Fähigkeiten entwickeln» (Gruenewald und Smith, 2014, S. XX).
Unsere Take Home Messsage
Interessant ist, dass viele Fragen, Informationen und Details nicht in dem Ausmass erfasst und verstanden worden wären ohne die direkten Begegnungen an dem Ort des Geschehens. Die diversen Fragen an den Ort und die Menschen setzten einen immensen Lernprozess in Gang. Diese Erfahrungen bestärken uns und andere Coaches/Lehrende die Outdoor Journeys unseren Studierenden nahe zu bringen und ihnen nachhaltiges, ortbezogenes und fächerübergreifendes Lernen und Lehren zu ermöglichen. Heute starten viele Kurse von Luana mit einem Outdoor Journey. Zusammen hatten wir eine Menge Spass und Ideen, wie wir den Einfluss auf die Öffnung von Schulen und Hochschulen mit dringend benötigten nachhaltigen Lehr-Lernformen stärken können.