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«Familien sind unbequem»

Warum haben wir überhaupt eine Familie? Und welche Stellung nimmt darin die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ein? Diesen und weiteren Fragen ging die Philosophin und SRF-Moderatorin Barbara Bleisch am 9. Dezember 2019 am GGK-Forum an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen nach. 

«Wir haben Familie, weil wir Eltern haben», begrüsste Barbara Bleisch, Philosophin, Autorin und Moderatorin der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie», das Publikum in der Aula des Hochschulgebäudes Hadwig der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG). Barbara Bleisch war am 9. Dezember 2019 als Referentin des letzten GGK-Forums in diesem Jahr eingeladen. Die Idee zu dem regelmässig stattfindenden Forum hatte die Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons St. Gallen (GGK) vor vier Jahren, um die Debatte über wichtige gesellschaftliche Themen zu fördern. Umgesetzt wird das GGK-Forum in Zusammenarbeit mit der öffentlichen Vortragsreihe «Focus» der PHSG. An diesem Abend stand nun im Fokus, weshalb Familie alle betrifft und welchen Wert sie in und für die Gesellschaft hat. 

«Ehe für alle» als aktuelle Debatte
Zunächst zeigte Barbara Bleisch auf, wie vielfältig die Familienmodelle heutzutage sind. «Es kann sein, dass ein Kind heute fünf bis sechs Elternteile hat», sagte die Familienethikerin. Dies sei etwa der Fall, wenn nebst den rechtlichen Eltern, noch biologische Eltern oder Partner aus neuen Beziehungen hinzukämen. Sie selbst vertrete daher die liberale Familiendefinition von David Archard, der Familie als eine generationenübergreifende Gruppe definiert, deren Erwachsene langfristig und primär Verantwortung für unmündige Kinder haben. Solche Definitionen seien gerade auch hinsichtlich der aktuellen Debatte rund um das Thema «Ehe für alle» wichtig, sagte sie.  

Moderiert wurde der Abend von Claudius Luterbacher, Kanzler des Bistums St. Gallen. Er bezeichnete die Familie als Rekreationsraum sowie als Ort des Teilens und des Aufwachsens. Er stellte aber auch die Frage, welche Verpflichtungen zwischen Eltern und Kindern bestehen. «Mit Sicherheit gibt es Pflichten, solange Eltern und Kinder gemeinsam in einer Familie leben», sagte Barbara Bleisch. «Aber bestehen diese Pflichten auch, wenn die Kinder erwachsen geworden sind?» Als Antwort auf diese Frage kann laut Bleisch etwa das Schuldnermodell dienen. Demnach verhalten sich Eltern und ihre Kinder wie Gläubiger und Schuldner zueinander. Kinder schulden ihren Eltern entsprechend eine Rückzahlung. «Die Schwierigkeit dabei ist aber, dass Kinder einseitig als Schuldner angesehen werden und nicht als Gebende. Dabei geben sie den Eltern permanent etwas zurück, wie etwa einen Sinn im Leben», sagte Barbara Bleisch. Ein weiterer Ansatz ist das Dankbarkeitsmodell. Eltern und Kinder verhalten sich wie gütige Wohltäter und Begünstigte zueinander. Kinder schulden ihren Eltern entsprechend Dankbarkeit. «Problematisch an diesem Ansatz ist aber, dass Pflichterfüllung keine Dankbarkeit generiert», sagte Barbara Bleisch.  

Die Kleinfamilie auflösen
Als Fazit fasste Barbara Bleisch ihre Ausführungen wie folgt zusammen: Die Diskussion um das, was Generationen verbindet, wird fälschlicherweise von der Schuld her gedacht statt von der Gabe. Der Schulddiskurs vermeide es zu fragen, ob in Beziehungen hinreichend respektvoll miteinander umgegangen werde. Den Wert der Familie bezeichnete sie ersten darin, dass Familien identitätsstiftend sind. Zweitens können Familien laut Bleisch extrem entlastend sein. Drittens ist eine Familie eine gute Institution, weil sie unbequem ist. «In Familien lernen Sie, mit anderen Positionen konfrontiert zu sein. Das lernen Sie in Ihrem Freundeskreis nicht», sagte Bleisch ans Publikum gewandt. 

Dass die philosophischen Ausführungen von Barbara Bleisch drängende Fragen aus der Praxis aufgriffen, zeigte die anschliessende Diskussionsrunde. «Wieso gibt es immer wieder Bewegungen wie früher bei Platon oder heute bei den israelischen Kibbuzim, die die Kleinfamilie auflösen möchten», fragte jemand aus dem Publikum. Eine andere Person wollte wissen, wie man es rechtfertigen können, wenn man ein Kind bei seiner schwer drogenabhängigen Mutter leben lasse? Sei dies wirklich zum Kindswohl? Eine weitere Frage drehte sich darum, weshalb gerade Religionsgemeinschaften fordern, dass Kinder während ihrer Schulzeit die Familien verlassen müssten und auch später keine eigenen Familien haben dürften. Es waren Fragen, die sich nicht einfach und eindeutig beantworten liessen. Dass der Diskurs über sie geführt wird, ist daher umso wichtiger.