Richtiges Diskutieren will gelernt sein
Die Streitfreudigkeit in der Gesellschaft scheint abzunehmen. Für eine Demokratie kann das gefährlich sein. Denn: ohne Debatte keine Demokratie. An der Focus-Veranstaltung der PHSG wurde über die «Lust an Rede und Widerrede» diskutiert und gezeigt, wie die Kompetenzen hierfür in der Schule gefördert werden können.
Den einen gefällt ihre Streitkultur, für die anderen ist sie das Paradebeispiel dafür, wie eine Debatte nicht sein sollte: Die SRF-Sendung Arena löst das aus, was sie auch inhaltlich bietet, nämlich: kontroverse Diskussionen. Das Format ist in der Schweiz denn auch kaum mehr aus der politischen Bildung wegzudenken. «In der Sendung findet ein Konflikt statt, die Pluralität der Meinungen einer Gesellschaft ist abgebildet und es wird diskutiert», sagt Andreas Stadelmann, Dozent für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Bern. Die «Arena» erfülle damit ein wichtiges Ziel der politischen Bildung. «Die kritischen Zuschauerinnen und Zuschauer werden aufgefordert, sich eine eigene Meinung zu bilden. Somit wird die Urteilsfähigkeit jedes und jeder Einzelnen gefördert.»
Stadelmann ist auch Mitglied des Netzwerkes «Schweiz debattiert», das sich für eine sachlich korrekte, kommunikativ faire und rhetorisch sorgfältige Kultur des Debattierens engagiert und dazu Ausbildungs- und Übungsmodule in Schulen organisiert. Im Rahmen der öffentlichen Focus-Veranstaltungsreihe der PHSG war er am Montagabend, 7. November 2022, ins Hochschulgebäude Hadwig gekommen, um über die «Lust an Rede und Widerrede – Urteils- und Handlungskompetenzen in der Politischen Bildung» zu sprechen. In seinem Referat zeigte er auf, wie wichtig die Debatte für die Demokratie («der Sauerstoff des Lebens»; ein Zitat von Michel Friedman) und der Dissens (laut Stadelmann «die Triebfeder») für die politische Bildung sind. Die Kompetenzen hierfür könnten in der Schule gefördert werden, so der Referent.
Herausforderungen und Ziele
Als grösste Herausforderungen der politischen Bildung nannte er einerseits die Apathie, in der diese teilweise stecke. «Je gerechter eine Gesellschaft ist und je besser die demokratischen Strukturen sind, desto geringer ist die Dringlichkeit des Politischen.» Andererseits sei auch bei den Lehrpersonen eine gewisse «Verunsicherung» spürbar. Dies aufgrund ihrer Rolle, der Überwältigung der eigenen Positionierung und des Neutralitätsgebots. «Oft fehlt die wissenschaftliche Orientierung», so Stadelmann. Weitere Herausforderungen sind seiner Meinung nach die zunehmende Konfliktlosigkeit in der Gesellschaft sowie die «didaktischen Fehlschlüsse». Meistens würden in der Schule jene Themen unterrichtet, die interessierten und betroffen machten. Das sei lerntheoretisch zwar sinnvoll, für eine Demokratie aber problematisch. «Wenn sich die künftigen Bürgerinnen und Bürger nur noch um das kümmern, was sie persönlich betrifft, dann ist eine wichtige Voraussetzung der Demokratie nicht mehr gegeben.» Die Ziele der politischen Bildung müssen demnach sein, bei den Schülerinnen und Schülern das Interesse an der Politik zu wecken und zu vertiefen und sie gleichzeitig zu ermutigen, an politischen Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Ihnen sollen Fähigkeiten vermittelt werden, politische Sachverhalte selbstständig zu analysieren und zu beurteilen. Auch, um sich mit den Werten der Demokratie identifizieren zu können.
Reden, zuhören, aufeinander eingehen
Wie dieses Diskutieren und Argumentieren aussehen kann, erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss. In einem rund einstündigen Praxisteil lernten sie, die wichtigsten Regeln des Debattierens selbst anzuwenden. Ursula Naef und Samuel Bärtschi, die wie Stadelmann zum Kernteam von «Schweiz debattiert» gehören, zeigten den Teilnehmenden, wie sie bei den Workshops mit Jugendlichen vorgehen und was sie zu vermitteln versuchen. Ausgangspunkt für die Debatte ist jeweils eine aktuelle Streitfrage, wobei die Pro- und Kontra-Seiten den Beteiligten zugelost werden. Allerdings bereiten sich inhaltlich alle für beide Positionen vor. «So lernen die Teilnehmenden, beide Seiten zu respektieren», sagt Ursula Naef. Ein wichtiger Punkt beim Debattieren ist der Aufbau der Rede, die sogenannte Trichterrede. «Im ersten Teil wird über das gesprochen, worum es geht. Dann folgen die Argumente, die dafür und dagegen sprechen, und danach ein prägnanter Schlusssatz mit einer klaren Meinung.» Nebst einem selbstbewussten Auftritt und überzeugenden Argumenten ist für die Expertinnen und Experten von «Schweiz debattiert» aber vor allem eins bedeutend: «Lösungen für echte Probleme werden nur möglich, wenn die Debattierenden einander zuhören und aufeinander eingehen.»