Bild
Tagung Musik und Migration auf Mariaberg

PHSG-Tagung: Den Wert von musikalischer Vielfalt schätzen

Chancengleichheit, kulturelle Vielfalt und Heterogenität sind wichtige Themen im heutigen Schulalltag. An der diesjährigen Musiktagung «Musik und Migration» der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) stand der Umgang mit anderssprachigem musikalischem Kulturgut im Zentrum. In Referaten, Workshops und Diskussionen wurde aufgezeigt, wie wichtig es ist, die Musik und ihre Traditionen zu verstehen.

Lieder und Tänze aus aller Welt bereichern seit jeher den Musikunterricht in der Schule. Allerdings wird das musikalische Kulturgut oft unkritisch und klischeehaft angewendet. Gleichzeitig werden die Schulklassen kulturell immer vielfältiger, so dass auch Migration und Integration den Stoff im Musikunterricht beeinflussen. Vor diesem Hintergrund fand am vergangenen Samstag, 26. November 2022, die vierte Musiktagung «Musik und Migration» der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) im Hochschulgebäude Mariaberg in Rorschach statt. Ziel dieser Tagung war es, Personen, die musikalisch mit Kindern arbeiten, für das Thema Musik und Migration zu sensibilisieren. «Wir wollen, dass im musikalischen Kontext und darüber hinaus die Teilhabe aller Kinder einer Klasse gewährleistet werden kann», sagte Prof. Elisabeth Karrer, PHSG-Dozentin für GMBS Musik, Mentorin und Mitorganisatorin des Anlasses. «Die Stärkung der Identitäten ist uns ein grosses Anliegen.» PHSG-Rektor Prof. Dr. Horst Biedermann betonte in seiner Begrüssung, dass Musik als kulturelles Kapital eine wichtige Rolle in der Integration, in der Förderung und Anerkennung von Diversität und Sprache sowie in der Identitätsfindung spiele. «Mit und in der Musik lösen sich bestehende Grenzen und Barrieren auf und es treten Momente des Gemeinsamen in den Vordergrund.» Musik ermögliche sowohl die Verbindung mit der Heimat aufrecht zu erhalten als auch sich dem Fremden anzunähern und den Wert von Vielfalt anzuerkennen, so Biedermann.

«Musik muss erlernt werden»
Über die «Musik und ihre Rollen» sprach Prof. Dr. David-Emil Wickström. Für ihn ist Musik mehr als ein Training des Koordinationsvermögens oder der Erwerb einer Sprache. «Musik hat auch die Funktion, andere Kulturen kennenzulernen und Verständnis für Differenz und Vielseitigkeit zu schaffen, um so Respekt und Toleranz in der Bevölkerung zu fördern», sagte der Professor für Geschichte der Populären Musik an der Popakademie Baden-Württemberg. Dies aber geschehe heute noch viel zu wenig. Um ein Gefühl von Zugehörigkeit zu kreieren, könne Musik nur dann als Kommunikationsbrücke dienen, wenn es nicht nur aus einer christlich-europäisch-hegemonialen Perspektive komme. «Es müssen die Musiken und Religionen aller Kinder in einer Klasse berücksichtigt werden.» Eine gute Möglichkeit hierfür sei, die Schülerinnen und Schüler respektive deren Eltern aufzufordern, die eigene Musik mitzubringen. «Musik muss erlernt werden», sagte er. «Wichtig dabei ist, die Traditionen von Musik in den verschiedenen Ländern zu verstehen und nachzuvollziehen.» Hierfür sollte unter anderem das Material auf Diskriminierung geprüft, auf den Kontext geachtet und entweder sollten alle oder keine religiösen Feiertage thematisiert werden.

Liedergut entrümpeln
Wie musikalisches Kulturgut in der Schule zeitgemäss angewendet kann, zeigten die Musik- und Bewegungspädagogin Jeannette Loosli Gassama und Jeanne Palomino, Musikerin und Lehrerin Musikalische Grundschule, in ihrem Workshop «Inspiration Welt – Elementare musikalische Gestaltung». Jede der Frauen tat dies auf ihre eigene Weise, basierend auf ihrer kulturellen Herkunft und Lebensrealität. Der Workshop war einer von insgesamt vier Workshops, die eingeführt von Prof. Wilfrid Schmid, Dozent Schulmusik, Leiter CAS Musikalische Grundschule PHSG und Mitorganisator, an dieser Tagung besucht werden konnten. «Wenn die Kinder beispielsweise ein fremdsprachiges Lied singen, ist es wichtig, dass sie lernen, die Worte richtig auszusprechen», sagte Jeanne Palomino. «Damit bringen wir der fremden Kultur unseren Respekt entgegen.» Zudem sollte die Lehrperson immer sagen, was die Worte des Liedes bedeuten.

Die Wertschätzung des Liedguts thematisierten Ange Tangermann, Dozentin für Musikpädagogik an der ZHdK und Kinderchorleiterin, und Dr. Markus Detterbeck, Dirigent, Komponist und Dozent für Schulmusik, in ihrem Workshop. Die aktuelle Debatte über Authentizität, Identität und «Cultural Appropriation» fordert die Musikpädagoginnen und Musikpädagogen heraus, einen sorgfältigen Umgang mit dem Liedgut aus aller Welt zu finden. Für Ange Tangermann gehört eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Lied, das im Unterricht verwendet wird, ganz klar dazu. «Als Musikpädagogin ist es meine Aufgabe, eine möglichst genaue Recherche über Herkunft und Bedeutung sowie die bestmögliche Übersetzung eines fremdsprachigen Liedes zu finden», sagte sie. Dabei sei eine «Entrümpelung» der Liedmaterialien im Hinblick auf folkloristische Stereotypen, Klischees sowie rassistische und diskriminierende Inhalte unabdingbar.

Zu eigenen musikalischen Wurzeln stehen
Unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Beck, Leiter Institut Bildung & Gesellschaft PHSG, Soziologe und Mitglied des Tagungsteams, wurden Erfahrungen und Kenntnisse, die durch den Tag erworben wurden, diskutiert. An der Gesprächsrunde nahmen Referierende, Workshopleitende, Lehrpersonen aus der Praxis, Musikdozierende und Studierende teil. Sie waren sich einig, dass es vor 20 Jahren kaum möglich gewesen wäre, über dieses Thema eine Fachtagung Musik durchzuführen, da heute die Offenheit und auch Kritikfähigkeit einen suchenden Dialog möglich machten. Weiter wurde festgehalten, dass es essenziell wäre, als Lehrperson zu den eigenen musikalischen Wurzeln zu stehen, um authentisch in musikalische Beziehung zu den Kindern zu treten. Die Studierenden fügten an, dass es wichtig sei, der sensibilisierten Sprache ein Augenmerk zu geben, um auch rassistische Tendenzen und mehr in Liedgut zu erkennen. Die Gefahr möglicher Diskriminierungen, Verletzungen und Exklusionen, bezogen auf das Singen und Musizieren mit den Kindern, sei nicht zu bagatellisieren, hiess es auf dem Podium. Man müsse wach bleiben, hinschauen und gleichzeitig im Unterricht die Freude und Spontanität bewahren, ohne Hemmungen aufzubauen. Den Abschluss der Tagung gestalteten die Workshopleitenden Christian Fotsch und Kadir Erdogan mit einem Konzert mit angeleitetem Tanzen der Tagungsteilnehmenden.