«Künstliche Intelligenz reflektiert und nicht leichtfertig einsetzen»
Ob in der Bildung, auf dem Arbeitsmarkt oder im Gesundheitswesen: Aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist Künstliche Intelligenz (KI) nicht mehr wegzudenken. Im Rahmen von Focus PHSG sprach Dr. Georg Winder, Dozent Medien und Informatik, über Chancen und Risiken der neuen Technologie.
Künstliche Intelligenz (KI) und ihre derzeit wohl bekannteste Anwendung ChatGPT sind in aller Munde. Viele erwarten im Zuge der technologischen Entwicklung grosse Umwälzungen. «‹Amaras Gesetz› besagt, dass wir dazu neigen, die Auswirkungen einer Technologie kurzfristig zu überschätzen und langfristig zu unterschätzen», sagte Dr. Georg Winder, Dozent Medien und Informatik und Bereichsleiter für die IT-Bildungsoffensive am Institut für Digitale und Informatische Bildung der PHSG. Am Mittwoch, 25. Oktober, sprach er an der fünften und letzten Focus-Veranstaltung der PHSG in diesem Jahr über Künstliche Intelligenz und ihren Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Er selbst sehe KI weder positiv noch negativ, sondern als ein weiteres – wenn auch sehr mächtiges – Werkzeug. «Wichtig dabei ist, dass KI reflektiert und nicht leichtfertig eingesetzt wird.» Die Technologie habe grosses Potenzial. «Aber es gibt auch viele Auswirkungen, die aus heutiger Sicht nicht absehbar sind», sagte er.
Künstliche Super-Intelligenz in 50 Jahren?
Die Europäische Kommission definiert KI als System mit intelligentem Verhalten, das menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Planen und Kreativität imitiert. «Die Betonung liegt dabei auf ‹imitieren›», fügte Georg Winder an. «Es geht nicht um ersetzen oder gleichstellen.» Der Referent unterscheidet zwischen «schwacher künstlicher Intelligenz» und «künstliche Super-Intelligenz». Die erste ist auf eine einzelne Aufgabe ausgerichtet, wie der Chatbot ChatGPT, der Texte produzieren kann. Eine Super-Intelligenz wäre dem Menschen auf allen Ebenen überlegen, einschliesslich emotionaler und kreativer Fähigkeiten. Konkrete Beispiele dazu gebe es bisher glücklicherweise nur aus Filmen wie Irobot oder Terminator. «Bis wir so weit sind, wird es noch einige Zeit dauern. Seriöse Forschende gehen von 30 bis 100 Jahren aus.» Aktuell befänden wir uns im Bereich der «schwachen KI». Doch bereits diese hat sehr grundlegende Auswirkungen auf unseren Alltag und das gesellschaftliche Zusammenleben.
Eine dieser Auswirkungen ist die Automatisierung, die eine enorme Effizienzsteigerung zur Folge hat. «Mit KI können wir bis zu 40 Prozent schneller sein und eine um 18 Prozent höhere Qualität liefern», sagte Georg Winder. Es sei jedoch nicht die KI, die den Menschen die Jobs wegnehme. «Ich glaube vielmehr, dass Menschen, die KI einsetzen, jene verdrängen, die es nicht tun.» Eine weitere Auswirkung sind personalisierte Dienstleistungen. «Die Analyse grosser Datenmengen ermöglicht immer stärker personalisierte Empfehlungen für Produkte und Dienstleistungen.» Dies habe aber auch seine Schattenseiten. «Wir sind schnell in Informationsblasen drin.» Wenn man nur noch sehe und höre, was einen bestätige, führe dies in letzter Konsequenz in eine demokratiepolitisch schwierige Situation. Dabei gehe es nicht nur um Texte und Bilder, sondern auch um KI-generierte Videos, die eine immer weitere Verbreitung fänden und derzeit insbesondere soziale Netzwerke wie Twitter oder TikTok fluteten.
Noch viele offene Fragen
Auch auf die Gesundheit und die Medizin hat KI Einfluss. So können Krankheiten präziser diagnostiziert, Medikamente zielgerichteter entwickelt und Patientinnen und Patienten besser überwacht werden. «Doch da stellen sich auch ethische Fragen», sagt Georg Winder. Bei der Bildung ist laut dem Referenten viel im Bereich der personalisierten Lernerfahrungen möglich. KI kann für Schülerinnen und Schüler Unterstützung und für Lehrperson ein Werkzeug zum Gestalten und Schreiben sein. «Ich nutze KI beispielsweise bei der Auswertung von PDF-Dokumenten, um mir beispielsweise innert kurzer Zeit einen Überblick über grosse Textmengen zu verschaffen. Das erspart mir viel Zeit.» Natürlich gebe es auch hier viele offene Fragen, etwa zur schriftlichen Leistungsüberprüfung, zum Datenschutz, zum Urheberrecht aber auch zum dadurch zunehmenden Leistungsdruck.
Mit der Verbreitung von KI dürfte zudem auch die wirtschaftliche Ungleichheit zunehmen. Dazu gebe es erste Studien, die Datenlage sei aber noch dünn. «Man kann jedoch sagen: Wer Zugang und die kognitiven Fähigkeiten hat, und diese auch einzusetzen weiss, gewinnt.» Kritisch zu hinterfragen sei auch, mit welchen Daten die KI «trainiert» wird: Die Datenquellen und die Personen, welche die Daten eingeben, haben einen Einfluss. «Und da sehen wir, dass die Perspektive aktuell von einigen wenigen Tech-Konzernen dominiert wird und in der Tendenz weiss und männlich ist, was zu Diskriminierungen führen kann.» Georg Winder betonte, dass die Menschen diesbezüglich eine grosse Verantwortung tragen. «Wir haben zwar keinen Einfluss auf die grossen Tech-Unternehmen, aber wir können unser Verhalten und den Umgang mit dem Thema steuern. Und das ist nötig, um als mündige Bürgerinnen und Bürger am Diskurs teilzunehmen.»