«Baukultur betrifft uns alle»
Von den eigenen vier Wänden über das Schulhaus bis hin zur Energie- und Wasserversorgung: Täglich erleben wir Baukultur. Doch was heisst das und welche Relevanz hat sie? An der Focus-Veranstaltung «Brennpunkt baukulturelle Bildung» der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) stand die gebaute Umwelt, die Identität und Teilhabe im Mittelpunkt.
Beim Schulhaus Riethüsli sind in diesen Tagen die Bagger aufgefahren. Das Gebäude «Nest 1» und die dazugehörige Turnhalle werden abgebrochen – vor den Augen der Schülerinnen und Schüler. Einige von ihnen können von ihrem Schulzimmer aus die Bauarbeiten beobachten. Die seien manchmal zwar laut, doch das Zuschauen sei spannend, sagte ein Mädchen gegenüber dem «St.Galler Tagblatt».
Dieses Beispiel zeige, wie das Bewusstsein für Baukultur geweckt werden könne: vor Ort und durch Begeisterung, sagte Andy Benz, Mitglied des Bildungsrats St. Gallen und Präsident der Pädagogischen Kommission, am Mittwochabend, 21. September 2022, an der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG). Er hoffe, dass sich die Lehrpersonen für das Thema begeistern können. «Wenn die Lehrerinnen und Lehrer begeistert sind, dann sind es auch die Kinder.»
Grosses Interesse am Thema
Andy Benz war einer von fünf Gästen an der Gesprächsrunde zum Thema «Brennpunkt baukulturelle Bildung», die im Rahmen der öffentlichen Vortragsreihe «Focus» der PHSG stattfand. Das Interesse war gross, die Aula bis auf den letzten Platz gefüllt. Entstanden ist der Diskussionsabend in Zusammenarbeit mit Archijeunes. Der Verein möchte, dass die Baukultur ihren festen Platz in der Volksschule bekommt und hat deshalb einen innerpädagogischen Diskurs über baukulturelle Bildung lanciert. Dabei geht es um die Relevanz der gebauten Umwelt für Lebensraum und Lernumfeld und die daraus abgeleiteten Anforderungen an die Schulbildung. «Baukultur betrifft uns alle», sagte Kathrin Siebert, Geschäftsführerin von Archijeunes. «Sie ist mehr als Architektur, Stillehre oder Kulturerbe. Baukultur ist gebauter, gelebter und erlebter Raum.» Durch die Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt soll ein kritisches Bewusstsein und ein Verständnis dafür entstehen, dass jeder und jede mitverantwortlich sei für die Gestaltung der eigenen Lebensumgebung.
Um der Baukultur mehr Relevanz zu geben, nütze Begeisterung allein jedoch nicht viel, sagte Moderator Elias Baumgarten, Chefredaktor von Swiss-Architects.com, und schickte gleich die Frage hinterher, ob es auch Eingriffe in den Lehrplan und die Lehrmittel brauche. «Mit dem neuen Lehrplan sind die Grundlagen geschaffen worden, damit man sich der Baukultur in ihren verschiedensten Facetten annehmen kann», sagte der St.Galler Stadtrat Markus Buschor, welcher der Direktion Planung und Bauen vorsteht. Weiter solle sich die Politik nicht einmischen. «Die Pädagoginnen und Pädagogen müssen selbst entscheiden, wie sie die Empfehlungen aus dem Lehrplan umsetzen.» Regula Pöhl, Dozentin für GMBS an der PHSG, ergänzte, dass der Lehrplan tatsächlich viele Ansatzpunkte biete. «Aber um das Thema lebendig zu halten, sind alle aus den unterschiedlichsten Bereichen gefordert, nicht nur die Lehrpersonen.»
Mehr Sensibilisierung nötig
Für Kathrin Siebert sind die Ansatzpunkte vorhanden, aber «sie sind nicht offensichtlich und deshalb schwierig zu finden». Ihrer Meinung nach müssten auch fachdidaktische Grundlagen geschaffen werden, um herauszufinden, auf welcher Stufe was noch gemacht werden könne. «Es gibt bereits einige Lehrpersonen, die Baukultur in ihrem Unterricht berücksichtigten, aber es ist ihnen oftmals nicht bewusst.» Hier wäre eine Sensibilisierung ebenfalls wünschenswert. Regula Pöhl sieht diesbezüglich auch die PHSG in der Pflicht. «Die Hochschule könnte aufzeigen, in welchen Modulen ans Thema Baukultur angeknüpft werden kann und wie gross das Potenzial an Umsetzungsideen ist.»
Ganz ohne Lehrplan und Lehrmittel arbeitet das Zeughaus Teufen. Als ausserschulische Institution bietet es den Lehrpersonen unter anderem an, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern das eigene Schulhaus zu besuchen. «Dabei ist das Gebäude, also das Schulhaus, der Unterrichtsstoff», sagte Kurator Ueli Vogt. Die Kinder lernten vor Ort, mit blossen Händen und offenen Augen, zu verstehen, weshalb etwas schön ist oder auch nicht. Eine weitere Möglichkeit, nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei den Lehrpersonen die Begeisterung für die Baukultur zu wecken.