Projekt «Studierende machen Schule»: Verantwortung übernehmen und Selbstständigkeit fördern
16 Studierende der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) haben während einer Woche den Unterricht in der Primarschule Bronschhofen übernommen – ohne Begleitung einer Lehrperson. Mit diesem Projekt möchte die PHSG die Selbstständigkeit und Problemlösungsfähigkeit der Studierenden fördern und sie noch besser auf den Berufseinstieg vorbereiten. Für alle Beteiligten ist das Projekt ein grosser Erfolg und es soll nächstes Jahr weitergeführt werden.
Acht Bronschhofer Primarschulklassen haben für eine Woche zwei neue Lehrpersonen erhalten. Jeweils zwei Studierende der Pädagogischen Hochschule St.Gallen (PHSG) haben die Schülerinnen und Schüler in dieser Woche selbstständig unterrichtet, ohne dass die reguläre Lehrpersonen im Klassenzimmer anwesend war. Mit diesem Pilotprojekt, das unter dem Titel «Studierende machen Schule», kurz SMS läuft, möchte die PHSG die Selbstständigkeit und Problemlösungsfähigkeit der Studierenden im Umgang mit der Komplexität des Schulalltags fördern. Gleichzeitig ermöglicht es eine neue Art der Zusammenarbeit mit den Schulen: Die entsprechenden Lehrpersonen sind während einer Woche vom Unterricht befreit und können diese Zeit in Schul- und Weiterbildungsprojekte investieren. Es sei eine Win-Win-Situation für alle, waren sich die Beteiligten an der Medienkonferenz von gestern Donnerstag in der Primarschule Bronschhofen einig.
«Einen Schritt nach vorne»
«Viele Klassen sind heute hinsichtlich der sozialen Herkunft und der Leistungen der Schülerinnen und Schüler sehr heterogen», sagte der St.Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker, der ebenfalls Präsident des Hochschulrats der PHSG ist. «Die Lehrpersonen müssen gleichzeitig verschiedene Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler erfassen und dabei den Lehrplan nicht aus den Augen verlieren – eine Aufgabe, die flexibles Denken und solide Planung gleichermassen braucht.» Kölliker ist denn auch überzeugt, dass es Projekte wie «Studierende machen Schule» braucht. «Dank viel Kontakt zur Praxis macht die Ausbildung der Lehrpersonen damit einen weiteren Schritt vorwärts.»
Für PHSG-Rektor Horst Biedermann ist das Projekt ein Zukunftsmodell. Man habe vielfältige Brückenschläge machen können, was bedeutend für eine wirksame Lehrerinnen- und Lehrerbildung sei. «Die Studierenden können beispielsweise das, was sie an unserer Hochschule theoretisch erworben haben, in der Schule praktisch umsetzen», sagte er. Weitere Brückenschläge seien, dass Ausbildung angeboten und gleichzeitig Weiterbildung ermöglicht werde sowie Lehre respektive Unterricht praktiziert und die Wirksamkeit geprüft werde. «Zudem sind wir mit den Schulen ins Gespräch gekommen über unsere Vorstellungen eines wirksamen Unterrichts. Das ist ein Thema, das wir gemeinsam umsetzen müssen.»
Lernen durch Herausforderungen
Die Studierenden hatten sich seit Beginn des Herbstsemesters 2019/2020 auf die Unterrichtsübernahme vorbereitet. «Während rund eines halben Jahres waren sie sieben bis acht Mal in den Klassen und leiteten mehrere Lektionen, um die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrpersonen kennenzulernen», sagte Andreas Angehrn, der das Projekt zusammen mit Benita Affolter von Seiten der PHSG leitet. In der Woche vom 10. bis 16. Januar galt es für die 16 Studierenden dann ernst.
«Ein grosser Mehrwert war für mich, flexibel sein zu können. Ich musste schnell und spontan entscheiden. Das habe ich während keinem anderen Praktikum so intensiv erlebt wie hier», sagte Mara Isler, PHSG-Studentin im dritten Jahr, und Kenny Vogt, ebenfalls PHSG-Student im dritten Jahr, betonte: «Wir mussten zum einen Verantwortung übernehmen, waren aber zum anderen doch nicht ganz allein auf uns gestellt.» Die Studierenden wurden vor Ort von Dozierenden der PHSG in ihren Lern- und Entwicklungsprozessen begleitet. Neben dem Austausch mit den Dozierenden waren auch die Gespräche innerhalb der Tandems wertvoll.
Das Schulhausteam beschäftigte sich in dieser Zeit mit Weiterbildungen. «Es ist nicht allen Lehrpersonen gleich leichtgefallen, Verantwortung abzugeben», sagte Lehrerin Petra Mauchle und schmunzelte.
Die PHSG begleitet das Projekt auch wissenschaftlich. «Wir möchten natürlich auch herausfinden, was die Studierenden durch die Schulübernahme lernen», sagte Benita Affolter von der Projektleitung. Hierfür wurde der Unterricht der Studierenden teilweise auf Video festgehalten. Mittels dieser Aufnahmen sowie Rückmeldungen von Klassenlehrpersonen und von PHSG-Dozierenden können die angehenden Lehrpersonen ihr Verhalten im Unterricht überprüfen und weiterentwickeln. «Damit wollen wir die Studierenden in ihrem Lernen durch Herausforderungen unterstützen.»
Den Gap überwinden
Das Projekt «Studierende machen Schule» ist eine grenzübergreifende Kooperation der PHSG, der Pädagogischen Hochschule Weingarten in Baden-Württemberg und der Schulgemeinde Bronschhofen. «Auch uns ist wichtig, dass Überforderungssituationen in den Klassenzimmern vermieden werden können», sagte Schulratspräsidentin Jutta Röösli. Eine Klasse zu führen sei eine anspruchsvolle Aufgabe, der Gap zwischen Studium und Lehrtätigkeit oft gross. «Dieses Projekt hilft, diesen Gap gut zu überwinden.»
Gefördert wird «SMS» von der Internationalen Bodensee-Hochschule – dem europaweit grössten Verbund von hochschulartigen Institutionen. «Dieses Projekt zeigt sehr gut, wie Wissenschaft und Praxis miteinander arbeiten können», sagte Markus Rohmberg, Leiter der IBH-Geschäftsstelle. «Wir sind gespannt auf die Ergebnisse, die mit Sicherheit viele unserer Mitglieder interessieren werden.»
Es wird aber nicht bei diesem einen Projekt bleiben. Projektleiter Andreas Angehrn verriet zum Schluss: «Wir werden es im nächsten Jahr wieder durchführen.»