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Studierende machen Schule

Kick off «Studierende machen Schule!»

«Studierende machen Schule!» heisst eine innovative Form des Praktikums für angehende Grundschullehrerinnen und -lehrer an der Pädagogischen Hochschule Weingarten (PH). Nach intensiver, mehrwöchiger Vorbereitung übernehmen sie für knapp eine Woche die Verantwortung für eine komplette Grundschule. Ab dem kommenden Wintersemester tragen die Studierenden in ihrem Unterricht Videobrillen oder so genannte GoPros. Mit Hilfe der Aufzeichnungen können unsichere Unterrichtssituationen besser reflektiert und analysiert werden. Gefördert wird das Projekt von der Internationalen Bodensee-Hochschule (IBH) im Programm interreg für zwei Jahre mit 25.000 Euro.

«Unser Ziel ist die optimale Beratung der Studierenden und die Eröffnung von Lernchancen», erläuterte Dr. Thomas Wiedenhorn, der «Studierende machen Schule!» bereits 2016 zusammen mit Markus Janssen an der PH Weingarten nach norwegischem Vorbild auf den Weg gebracht hat. Es gehe darum, nicht in einem Theorieturm zu leben, sondern Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, ergänzte Prorektor Prof. Dr. Bernd Reinhoffer. Im Gegensatz zum herkömmlichen Integrierten Semesterpraktikum (ISP) planen die Studierenden im Projekt nicht nur ihren Unterricht, sondern sind für alle schulischen Aufgaben von der Pausen- und Busaufsicht bis zum etwaigen Elterngespräch verantwortlich. «Durch die Videos ist es besser möglich, herausfordernde Situationen zu reflektieren und aus ihnen zu lernen», erklärt Janssen. 

Komplexer Schulalltag statt «Schoki-Klasse»
Beim «Kick off» des Projekts «Studierende machen Schule – mediengestützten Beratung in selbstverantworteten Praxisphasen» berichteten die Projektpartner von der Pädagogische Hochschule St.Gallen, Prof. Dr. Benita Affolter und Prof. Andreas Angehrn, von ihren Erfahrungen. «Häufig absolvieren unsere Studierenden Praktika in einfach zu führenden «Schoki-Klassen» und sind zu wenig auf den komplexen Schul- und Unterrichtsalltag vorbereitet», so Prof. Dr. Affolter. Und dies zeige sich oft leider erst in der Berufspraxis. Es müsse eher darum gehen, Herausforderungen zu erfahren und schwierige Situationen im Klassenzimmer zu bewältigen. Hin und wieder käme es in Folge auch zum Abbruch des Studiums. Einig waren sich die Fachleute beider PHs darin, dass selbst dies für die Betroffenen ein Gewinn sei. «Es ist quasi der Lackmus-Test für unseren herausfordernden Job», so Prof. Angehrn. 

Aus Fehlern lernen ohne Bewertungsdruck
In einem Video der Pädagogische Hochschule St.Gallen äusserten sich Studierende zu ihren Erfahrungen während der Übernahmewoche. Noch nie hätten sie eine so enge Beziehung zu den Kindern aufgebaut, waren sie sich einig. Als Herausforderungen nannten sie, allen Kindern gerecht zu werden und die eigene Rolle als Lehrperson zu finden. Es gebe in den Übernahmetagen keinen Bewertungsdruck, dafür erfahre man im Unterricht unmittelbar die Konsequenz aus etwaigen Fehlern. Ihre Emotionen beschrieben die Studierenden von verzweifelt über enttäuscht bis hin zu überglücklich und stolz. Übereinstimmend sagten sie, dass sie vom Projekt «Studierende machen Schule!» profitieren. Die GoPro-Kameras auf ihren Köpfen seien schon nach kurzer Zeit von den Schülerinnen und Schülern gar nicht mehr wahrgenommen worden. 

Videos helfen bei Analyse und Reflexion
Marina Knetschke studiert im fünften Semester für das Grundschullehramt an der PH Weingarten. Nach anfänglichen Bedenken testete sie in der Übernahmewoche an der Grundschule Oberzell die Videobrille. «Erst mal sieht oder hört man sich ja nicht so gern selbst. Aber die Videos helfen dabei, genau zu analysieren, woran es gelegen hat, wenn es zu einer unruhigen oder konfliktreichen Situation kommt», stellte sie fest. Mal habe sie eine unklare Anweisung gegeben, dann zu viel Info in einen Satz gepackt und einmal zu wenig Zeit gegeben. «Auf diese Weise kann man sich selbst und den Unterricht viel besser reflektieren», so Knetschkes Fazit. 

Datenschutz ist gewährleistet
Lothar Landsbeck, Schulleiter der Grundschule Oberzell, berichtete von der überaus positiven Akzeptanz der Eltern. «Sie schätzen das Projekt.» Gewährleistet sei der Datenschutz, indem die Gesichter der Kinder, die nicht fotografiert oder gefilmt werden dürfen, im Nachhinein verpixelt werden. Dr. Wiedenhorn ergänzte, dass die Videos zunächst den Studierenden gehören. «Wir schalten uns ein, um die Ausbildung weiter zu fördern.» Grundsätzlich melden sich die Studierenden freiwillig zum Projekt «Studierende machen Schule!» an. Im vergangenen Semester waren es 12 angehende Grundschullehrerinnen und -lehrer. «Es spricht sich unter den Studierenden herum, dass die Erfahrungen nachhaltig sind», sagte Janssen. 

Win-Win-Situation für Lehrer und Studierende
Mit Blick auf das Lehrerkollegium der Schule sprach Prof. Angehrn von einer Win-Win-Situation. Nach dem Vorbild der PH Weingarten werden künftig auch die Schweizer Lehrerkollegen während der Übernahmewoche eine gemeinsame Fortbildung besuchen. Dies sei nicht nur für die Lehrerinnen und Lehrer eine gute Sache, auch die Eltern würden die Vorteile sehen, weiss Schulleiter Landsbeck. 

Projektkonzept
Das Projekt «Studierende machen Schule!» baut auf dem an der Norwegian University of Science and Technology (Norwegen) entwickelten Konzept der «Schooladoption» auf. In Deutschland ist es zum ersten Mal an der Europa-Universität Flensburg erprobt worden. An der PH Weingarten begannen die Projektplanungen 2014. Erstmals wurde «Studierende machen Schule!» als Teil des Integrierten Semesterpraktikum (ISP) im Wintersemester 2015/16 in Absprache mit dem Staatlichen Schulamt Markdorf und mit Genehmigung des Regierungspräsidiums Tübingen und des Kultusministeriums Baden-Württemberg durchgeführt.

Text: Pädagogische Hochschule Weingarten, Claudia Wörner